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Der Krampf mit den Pronomen
Aus Dini Mundart vom 02.05.2024.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 3 Minuten 29 Sekunden.
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Genderneutrale Sprache Genderneutrale Pronomen im Deutschen: Es ist kompliziert

Genderneutrale Sprache ist im Deutschen deutlich schwieriger umzusetzen als in anderen Sprachen. Das hat unter anderem mit dem komplexen Flexionssystem zu tun.

Die meisten non-binären Personen akzeptieren für sich weder «er» noch «sie». Nun gibt es aber nicht eine einzige Alternative, sondern viele – etwa «they» aus dem Englischen, das schwedische «hen» oder «es».

In einem Beispielsatz:

  • «They kommt aus Zug. Their Hobby ist Jassen.»
  • «Hen kommt aus Zug. Hens Hobby ist Jassen.»
  • «Es kommt aus Zug. Sein Hobby ist Jassen.»

«Es» wird von einigen non-binären Personen verwendet, von anderen aber abgelehnt, weil «es» auch als verniedlichend oder abwertend wahrgenommen werden kann. Ausserdem fallen einige sächliche Pronomen mit den männlichen zusammen.

In anderen Sprachen

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Im Gegensatz zum Deutschen hat sich in einigen anderen Sprachen ein einziges genderneutrales Pronomen durchgesetzt.

Englisch: Im Englischen ist «they/them/their» – auch «singular they» – seit dem Spätmittelalter als genderneutrales Pronomen belegt.

In Shakespeares Werk etwa kommt das «singular they» schon regelmässig vor. Entstanden ist es aus dem Pronomen für die dritte Person Plural, entspricht also dem deutschen «sie».

Französisch: Im kanadischen Französisch entstand in den 2010er-Jahren das genderneutrale Pronomen «iel», eine Verschmelzung aus «il» ‹er› und «elle» ‹sie›).

Sein Gebrauch ist allerdings relativ beschränkt – ein Grossteil von Bevölkerung und Institutionen, auch in anderen französischsprachigen Ländern, lehnt «iel» ab.

Schwedisch: Im Schwedischen wird ebenfalls seit den 2010er-Jahren «hen» als genderneutrales Pronomen verwendet (neben «han» für ‹er› und «hon» für ‹sie›) – gerade auch in der öffentlichen Kommunikation. Vorgeschlagen wurde es allerdings bereits im Jahr 1966.

Weitere Sprachen

Genderneutrale Pronomen gibt es auch in weiteren Sprachen, so etwa im Italienischen, Portugiesischen oder Katalanischen.

Wieder andere Sprachen haben überhaupt kein grammatisches Geschlecht – dazu gehören etwa Türkisch, Finnisch, Chinesisch, Thai oder Japanisch. In diesen Sprachen sind darum auch keine neuen genderneutralen Pronomen nötig, weil die bestehenden Pronomen gewissermassen bereits genderneutral sind.

Name als Pronomen

Am üblichsten ist im Deutschen aktuell, dass der Vorname der Person an die Stelle des Pronomens tritt:

«Kim kommt aus Zug. Kims Hobby ist Jassen.»

So will es auch Nemo, die diesjährige Vertretung der Schweiz am Eurovision Song Contest.

Es gibt aktuell also viele verschiedene Vorschläge für genderneutrale Pronomen in der deutschen Sprache.

Neu erfundene Pronomen

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Darüber hinaus sind auch gänzlich neu geschaffene genderneutrale Pronomen, sogenannte «Neopronomen», in Gebrauch. Dazu gehören «xier», «ens», «em», «iks», «dey» und viele mehr.

«Xier kommt aus St. Gallen und xies Hobby ist Jassen.» «Em kommt aus St. Gallen und ems Hobby ist Jassen.» «Iks kommt aus St. Gallen und ikses Hobby ist Jassen.»

An Kongressen und in Internetforen werden Vor- und Nachteile verschiedener Neopronomen diskutiert und auch immer wieder neue vorgeschlagen, zum Beispiel hier.

Dass sich eine Variante bald durchsetzen wird, scheint nicht wahrscheinlich.

Die Krux mit den deutschen Pronomen

Und selbst wenn es zu einer Einigung auf ein bestimmtes genderneutrales Pronomen käme, bliebe die Umsetzung schwierig. Das liegt an der Komplexität des deutschen Flexionssystems. Im Gegensatz zu Sprachen wie Englisch oder Schwedisch hat Deutsch nämlich ein umfangreiches Kasussystem mit vier Fällen (Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ), an die sich die Pronomen anpassen.

Bei den Personalpronomen ist das noch recht einfach zu handhaben: Zu «er/seiner/ihm/ihn» (männlich) und «sie/ihrer/ihr/sie» (weiblich) kommen vier genderneutrale Personalpronomen. Am Beispiel von «xier» wären das «xier/xieser/xiem/xien».

Viele Possessivpronomen

Deutlich komplizierter wird es bei den Possessivpronomen. Aus männlicher (und sächlicher) Perspektive das, jeweils in den vier Fällen, folgende Formen:

  • «sein/seines/seinem/seinen» (männlich)
  • «seine/seiner/seiner/seine» (weiblich)
  • «sein/seines/seinem/sein» (sächlich)

Aus weiblicher Perspektive gibt es noch einmal so viele Possessivpronomen, und auch aus genderneutraler Perspektive braucht es für jedes davon eine Entsprechung. Für den Vorschlag «xier» existieren diese Entsprechungen bereits:

  • «xies/xieses/xiesem/xiesen» (männlich)
  • «xiese/xieser/xieser/xiese» (weiblich)
  • «xies/xieses/xiesem/xies» (sächlich).

Was hier noch fehlt, sind die Possessivpronomen im Bezug auf eine non-binäre Person. Für das «xier»-System wurden folgende Formen vorgeschlagen (wiederum Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ):

  • «xiesa/xiesas/xiesam/xiesan»

Und aus männlicher/sächlicher Perspektive «seina/seinas/seinam/seinan» sowie aus weiblicher Perspektive «ihra/ihras/ihram/ihran».

Viel komplexer als in anderen Sprachen

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Aufgrund des komplexen Kasussystems gibt es im Deutschen also viel mehr als im Englischen und Schwedischen, die mit je zwei geschlechtsabhängigen Personalpronomen und einem geschlechtsabhängigen Possessivpronomen auskommen (sie verwenden dafür mehr mit Präpositionen wie «to»).

Die Relativpronomen passen sich im Englischen und Schwedischen gar nicht dem Geschlecht an.

Schwierige Umsetzung

Auch hier ist es nicht fertig mit der Pronomenvielfalt des Deutschen. Hinzu kommen noch die Relativpronomen, welche sich ebenfalls dem Geschlecht anpassen. Ein Beispiel:

«Das ist Josef bzw. Maria, dem/welchem bzw. der/welcher der Hund gehört.»

Auch hier wären genderneutrale Alternativen nötig.

Schweizerdeutsch: bitzli einfacher

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Das schweizerdeutsche Sprachsystem unterscheidet sich etwas vom standarddeutschen. Zum Beispiel gibt es im Schweizerdeutschen nur das genderneutrale Relativpronomen «wo»:
«Das isch dä Maa/die Frau, won i gseh ha.»

Im Relativsatz ist das Gendern im Schweizerdeutschen also viel einfacher. Auch der Genitiv fällt im Schweizerdeutschen grösstenteils weg.

Handkehrum wird im Schweizerdeutschen, im Gegensatz zum Hochdeutschen, vor den Namen der Artikel gestellt:
«I ha de Josef/d Maria/s Vreni gseh.»

Den Artikel vor dem Namen wegzulassen, wie es die meisten non-binären Menschen wünschen, ist für das schweizerdeutsche Sprachgefühl ungewöhnlich. Aber schwer umzusetzen ist es grundsätzlich nicht.

Angesichts dieser Komplexität scheint eine durchgehende Einführung von neuen genderneutralen Pronomen in der deutschen Sprache sehr schwierig. Vielleicht wäre es doch am besten, das sächliche «es» als genderneutrales Pronomen zu verwenden. Denn da wären alle Pronomen-Formen schon bekannt.

Radio SRF 1, «Dini Mundart», 3.5.2024, 09:40 Uhr

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